Irmgard Heydorn

»Es gibt eine Sache, von der bin ich überzeugt und da bin ich stur – dass die Welt, so wie ich sie mir vorstelle, besser ist, als die Welt, so wie sie ist.«
(Persönliches Gespräch)

Irmgard Heydorn wurde 1916 als Irmgard Hose in Hamburg geboren. Sie wuchs in einem liberalen Elternhaus auf und hatte schon früh ihren Großvater mit seinen sozialistischen und pazifistischen Einstellungen zum Vorbild. Ihre Eltern ermöglichten ihr den Besuch einer Reformschule, wo sie bis zum Beginn des NS-Regimes eine Ausbildung genießen konnte, zu der Diskussionen und kritisches Denken zentral dazu gehörten. Sie wusste mit ihren damals 17 Jahren also auch, wie es anders sein kann, als die Nazis dieses freie Denken ab 1933 zu unterdrücken begannen: »Das freie Lernen, das Vertrauen der Schule in die individuellen Kräfte, verstellte nicht die gesellschaftliche Realität, in der die Freiheit das zerbrechlichste war« schrieb sie später. Als die NSDAP an die Macht kam, war für Irmgard Heydorn klar, dass sie gegen die Nazis war. Dass sie dann ab 1936 aktiv im Widerstand arbeitete, war die konsequente Umsetzung dieser Einstellung in die Praxis.

Kontakt zur Widerstandsgruppe des Internationalen Sozialistischen Kampfbunds, kurz ISK, bekam sie über die Arbeit in einem Bankhaus eines jüdischen Bekannten ihres Vaters. Dieser hatte Deutschland erst auf Drängen ihrer Familie verlassen, da er nicht glauben konnte, dass er als deutschnational eingestellter Bürger, dessen Vater im Ersten Weltkrieg das Eiserne Kreuz erster Klasse verliehen bekommen hatte, in Deutschland verfolgt werden würde. Die rechtzeitige Emigration nach Amerika rettete ihn vor der drohenden Verfolgung und Lebensgefahr in Deutschland. In eben diesem Bankhaus lernte Irmgard Heydorn Käte Zink kennen, die bereits im ISK arbeitete.

Schnell entstand ein Vertrauensverhältnis zwischen den beiden und Irmgard Heydorn wurde bald in die Hamburger Gruppe des ISK aufgenommen. Dort war sie von 1936 bis 1945 tätig und leistete mit dem Ziel, die Nazis zu schwächen und die Regierung zu stürzen, Aufklärungs- und Sabotagearbeit.

Dabei wollte Irmgard Heydorn eigentlich nach dem Abitur Medizin studieren und Kinderärztin werden. Doch um studieren zu können, musste man ein Jahr in den Arbeitsdienst gehen, jeden morgen die Hakenkreuz-Fahne hissen, das Horst-Wessel-Lied und das Deutschlandlied singen – das wollte und konnte Irmgard Heydorn nicht und verzichtete auf ein Studium. 

Im ISK fand sie eine Insel der Vernunft, in einer Umgebung, die für sie so irrational war – in der man ganz offen sehen konnte, was die Nazis machten und welche Verbrechen sie begangen. Dabei riskierte sie in ihrer Widerstandsarbeit ihr Leben: 1943 versteckte sie einen geflohenen Gefangenen, der später gefasst und hingerichtet wurde, in der Zeit des Krieges gab sie in verschlüsselten Briefen wichtige Informationen an die Alliierten weiter und ihre Mutter enttarnte einen Spitzel der Nazis, von dem schon viele Mitglieder des ISK verraten worden waren. 

Als 1945 die Alliierten endlich Hamburg eroberten, war es für Irmgard Heydorn im Gegensatz zu den meisten anderen Menschen in Deutschland eine Befreiung. Im gleichen Jahr gründete sie gemeinsam mit anderen WiderstandskämpferInnen eine freie sozialistische Gewerkschaft, um die Bildung nachzuholen, die ihnen in den 12 Jahren Nazi-Herrschaft nicht möglich war und um wieder offen politische Arbeit leisten zu können. 1946 gehörte sie zu den MitbegründerInnen des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) Hamburg, trat der SPD bei und arbeitete bei den Verlagen Öffentliches Leben und Europäische Verlagsanstalt. In dieser Zeit begann sie auch ein Studium der Nationalökonomie, genau wie ehemals Rosa Luxemburg, die für die Wahl des Studiengangs Vorbild war.

Gemeinsam mit Heinz Joachim Heydorn, den sie 1951 heiratete und mit dem sie eine gemeinsame Tochter bekam, ging sie nach Frankfurt am Main. Dort erhielt Heinz Heydorn 1961 eine Professur für Erziehungs- und Bildungswesen. Ebenfalls 1961 wurden beide aufgrund ihrer Mitgliedschaft im Förderkreis des SDS aus der SPD ausgeschlossen. Von da an war Irmgard Heydorn in der Friedensbewegung aktiv, protestierte gegen die Remilitarisierung Deutschlands, arbeitete bei Amnesty International und engagierte sich in der Volkshochschul-Arbeit. 

Seit den 80er-Jahren berichtete sie gemeinsam mit Trude Simonsohn als Zeitzeugin in Schulen, an Universitäten und vielen anderen Orten, an die man sie einlud. Sie ist Herausgeberin der Werke von Heinz Joachim Heydorn, welche im Topos-Verlag und im Verlag »Büchse der Pandora« erschienen sind. 

Bis zu ihrem Lebensende war Irmgard Heydorn Sozialistin, weil sie der Überzeugung war, dass die Welt, wie sie sie sich vorstellt, »besser ist, als die Welt, so wie sie ist.«

Am 17. Mai 2017 ist Irmgard Heydorn im Alter von 101 Jahren in Frankfurt am Main verstorben.