»Meine Entscheidung stand fest: ich war gegen die Nazis«

»Mein Großvater lebte 1933 noch und war natürlich gegen die Nazis. Auch meine Eltern waren Antifaschisten, so dass diese Haltung für mich ganz naheliegend war. Allerdings gab es auch in meiner Familie Nazis. Immerhin hatte Hitler eine breite Zustimmung in der Bevölkerung, und ich glaube, wenn er 1939 zu freien Wahlen aufgerufen hätte, er sicherlich die Mehrheit gehabt hätte. Als Antifaschist schwamm man also gegen den Strom, das war nicht so einfach.«

Irmgard Heydorn: Der tägliche Mut. Frankfurt, S. 16

  • Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK)

    Der Internationale Sozialistische Kampfbund wurde 1925 von dem Göttinger Philosophen Leonard Nelson als Partei gegründet, nachdem die Mitglieder der Vorgängerorganisation des ISK, dem Internationalen Sozialistischen Jugendbund, aus der SPD und der KPD ausgeschlossen worden waren. Der ISK verstand sich als Kaderorganisation, die die Führungspersönlichkeiten für eine neue sozialistische Gesellschaft ausbilden sollte. Dementsprechend war der ISK nicht darauf aus, möglichst groß zu werden, sondern stellte im Gegensatz hohe Anforderungen an eine Mitgliedschaft. Dazu gehörten der Verzicht auf Alkohol und Nikotin, strenger Vegetarismus und der Austritt aus der Kirche. Zudem wurde eine hohe Disziplin in der politischen Arbeit erwartet.

    Leonard Nelson und der ISK sahen bereits früh, welche Gefahren von den Nazis ausgehen. Aus diesem Grund veröffentlichten sie 1932 einen »Dringenden Appell«, in dem sie alle linken Parteien aufriefen, gemeinsam eine einheitliche Front gegen die Nazis zu bilden. Dieser Aufruf, der von bekannten Persönlichkeiten wie Albert Einstein und Erich Kästner unterschrieben wurde, fand bei den anderen Parteien jedoch nicht den erhofften Anklang.

    Der ISK löste sich dementsprechend bereits in den Jahren 1932-33 auf und bereitete sich auf die Arbeit in der Illegalität vor. Alle Mitgliedschaftslisten und Parteibücher wurden vernichtet, um sich so dem unmittelbaren Zugriff der Nazis zu entziehen. Es wurden eine Auslandszentrale in Paris und verschiedene lokale Widerstandszellen gegründet. 1934 wurden in einem Flugblatt mit dem Titel »Willst du gesund bleiben« Verhaltensregeln und Vorsichtsmaßnahmen für die illegale Arbeit verbreitet, die vor Verfolgung schützen sollten. In den Jahren 1933-1945 bildete der ISK eine kleine, aber effektiv arbeitende Widerstandsgruppe und umfasste ca. 300 Mitglieder. Die Mitglieder erstellten und verbreiteten Propagandamaterial gegen die Nazis, halfen gefährdeten Personen bei der Flucht oder beim Untertauchen und gaben verschlüsselte Informationen ins Ausland weiter. Finanziert wurde diese Widerstandsarbeit unter anderem über vegetarische Restaurants, die von ISKlern betrieben wurden. Der ISK zeichnete sich in seiner illegalen Arbeit dadurch aus, dass er nach strengen Vorsichtsmaßnahmen arbeitete. Trotzdem mussten viele ISK-Mitglieder ins Exil fliehen, oder wurden von den Nazis verhaftet, gefoltert und ermordet.

    »Der ISK war keine Massenorganisation und konnte auch keine werden. Er stellte sehr hohe Anforderungen an seine Mitglieder, da er sich als strikte Kampforganisation verstand. Beispielweise war das Rauchen verboten, da Nikotinabhängigkeit während einer politischen Gefangenschaft eine vom Gegner ausnutzbare Blöße darstellte. Die Organisation war streng konspirativ, man kannte nur die Namen derjenigen, mit denen man direkt zusammenarbeitete. Wir hatten Verbindungen zu den Leuten des 20. Juli 1944, zu Sozialdemokraten, Kommunisten und vielen illegalen Gruppen. Die Verbindung lief aber immer nur über einzelne. Wir dachten auch an ernsthaften bewaffneten Widerstand.«

    Irmgard Heydorn: Der tägliche Mut. Frankfurt, S. 17

    Quellen:

    • Seitens der Friedrich-Ebert-Stiftung wurden sämtliche verfügbaren Publikationen des ISK online zugänglich gemacht
    • Die Friedrich-Ebert-Stiftung bietet zudem ausführliche Informationen über den ISK
    • Den Widerstand des ISK beschreibt ein Band, in dem auch Irmgard Heydorn einen Beitrag veröffentlicht hat: Sabine Lemke-Müller (Hg.): Ethik des Widerstands. Der Kampf des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes (ISK) gegen den Nationalsozialismus. Erschienen im Dietz-Verlag.
  • Käte Zink

    »Käte Zink, später Käte Plume, wurde Freundin und Weggenossin für mich von 1936 bis 1945 und blieb darüber hinaus bis zu ihrem Tode enge Freundin. Über sie kam ich zur Hamburger Gruppe des damals natürlich schon verbotenen Internationalen Sozialistischen Kampfbundes. Ich denke, Käte vertraute mir bald. Das lag an unserer gemeinsamen Arbeit, vor allem nach der Flucht des Inhabers, die uns die Gestapo ins Haus brachte, der wir die Rolle naiver, unwissender und bürgerlicher junger Mädchen vorspielten. Käte war darin eine Meisterin. Sie war außerdem in ärgerer Bedrängnis als ich, da sie dem Bankhaus länger angehört hatte. Doch wir bestanden beide und irgendwann wurde das Bankhaus geschlossen. Meine Freundschaft zu Käte und ihrem Mann, Karl Plume, war zuerst einmal die Grundlage meiner Beziehung zum ISK. Nach und nach lernte ich andere Freunde kennen und ich erfuhr etwas über die Entstehung des ISK und über Leonard Nelson und seine Philosophie. Ich weiß heute – es war wie eine Erlösung.«

    Irmgard Heydorn zitiert in: Sabine Lemke-Müller: Ethik des Widerstands. Dietz-Verlag, Bonn 1996, S. 280

  • Walkemühle

    Das Landeserziehungsheim Walkemühle wurde 1922 in der Nähe von Melsungen gegründet und bot Unterricht für Kinder und Erwachsene. Ab 1925 übernahm Minna Specht, eine spätere Leiterin des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes, die Leitung der Schule. Die Geschichte und Philosophie der Walkemühle wird auf der Website der Stolperstein-Initiative Melsungen gut zusammengefasst: »Die Kinder genossen für damalige Verhältnisse ungewöhnliche Freiheit und Entfaltungsmöglichkeiten. Der Unterricht erfolgte in kleinen Gruppen, die Lehrer wurden geduzt, das Schwergewicht des Unterrichts lag auf Beobachtung und Anleitung zum selbständigen und gemeinsamen Arbeiten. Am 1. Mai 1924 wurde der 1. Kurs für Erwachsene eröffnet. Zu den dreijährigen Kursen wurden junge Menschen aus den Ortsvereinen des Internationalen Jugendbund, später aus dem Internationalen Sozialistischen Kampfbund ausgesucht.«

    Der kostenfreie Schulbesuch wurde jedem im Sinne der Philosophie der Schule geeigneten Menschen ermöglicht; es wurde die Gleichberechtigung von Frauen und Männern und AkademikerInnen und ArbeiterInnen angestrebt; Militarismus und Nationalismus wurden abgelehnt; die SchülerInnen engagierten sich in linken Parteien, Gewerkschaften oder anderen Organisationen.

    1933 wurde die Schule geschlossen und von der SA besetzt.

    Quelle:

    Stolpersteine Melsungen

    Weitere Informationen:

    Archiv der SPD

  • Leonard Nelson

    Leonard Nelson war außerordentlicher Professor für Philosophie an der Universität Göttingen und Gründer des Internationalen Jugendbundes (IJB) und des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes (ISK).

    Nelson wurde 1882 in Berlin geboren und wuchs in einem liberalen großbürgerlichen Elternhaus auf. Sein Studium der Philosophie, das er in Heidelberg, Berlin und Göttingen absolvierte, schloss er mit einer Dissertation über die Philosophie von Jakob Friedrich Fries ab. 1919 wurde er zum außerordentlichen Professor ernannt.

    Bereits in der Studienzeit engagierte sich Nelson politisch, denn Philosophie und Praxis bildeten in seinem Denken eine Einheit. Dieses politische Engagement setzte er zeit seines Lebens fort und verband es mit dem von ihm weiterentwickelten Konzept eines ethisch begründeten Sozialismus. Die Gründung des IJB und ISK sowie die Eröffnung des Landeserziehungsheims Walkemühle sind beispielhaft für diese Verbindung von Theorie und Praxis. Die politische und pädagogische Arbeit Nelsons wurde auch nach seinem Tod 1927 fortgesetzt, die Widerstandsarbeit des ISK gegen den Nationalsozialismus ist dabei mit Sicherheit eines der wichtigsten Beispiele.

    Literatur:

    • Paul Bernays, Willi Eichler, Arnold Gysin, Gustav Heckmann, Grete Henry-Hermann, Fritz von Hippel, Stephan Körner, Werner Kroebel, Gerhard Weisser (Hrsg.): Nelson, Leonard: Gesammelte Schriften.  Felix Meiner Verlag, Hamburg 1970-1977
    • Philosophisch-Politische Akademie
    • Der Nachlass von Leonard Nelson wird von der Friedrich-Ebert-Stiftung verwaltet und ist in Teilen online öffentlich zugänglich. Hier finden sich auch ausführliche biografische Informationen.

Kapitel 3: Widerstand

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    Ich war gegen die Nazis
  4. W2
    Vorsichtige Arbeit
  5. W3
    Widerstand gegen Hitler
  6. W4
    Wissen um die Verbrechen
  7. W5
    Deporta­tionen
  8. W6
    Hoffnung auf Umsturz
  9. W7
    Sabotage
  10. W8
    Schöne Momente?
  11. W9
    Widerstand der Eltern
  12. W10
    Wissen um den Widerstand
  13. W11
    Ent­scheidung
  14. W12
    Eine normale Jugend?
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