Waren Sie bei der ‘68er-Bewegung dabei?

  • Studierendenbewegung 1968

    In der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre kam es in verschiedenen Ländern zu Revolten, die hauptsächlich von der jungen Generation getragen wurden. In Deutschland kam in dieser Zeit eine Protestbewegung von Studierenden auf, die als Studentenbewegung, oder auch als 68er-Revolte bezeichnet wird und eine große Bandbreite politischer und gesellschaftlicher Themen in sich vereinte. Während im Parlament aufgrund einer Großen Koalition keine wirksame ­Oppositionspolitik stattfand, organisierten sich die Studierenden gemeinsam mit anderen gesellschaftlichen Gruppen in einer Außerparlamentarischen Opposition, kurz APO. Eine wichtige Organisation in der APO war der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS). Neben der Forderung nach Veränderung und Demokratisierung der Universitäten, Protesten gegen die Notstandsgesetze, die die Grundrechte aushebelten, und dem Protest gegen Militarisierung und Krieg, spielte auch die nationalsozialistische Vergangenheit Deutschlands eine wichtige Rolle. Die Studierenden kritisierten, dass Politiker und Professoren, die in den Nationalsozialismus involviert waren, ungestört öffentliche und universitäre Ämter bekleiden konnten. Viele Professoren an deutschen Universitäten hatten auch in der NS-Zeit gelehrt und die NS-Ideologie verbreitet, oder waren anderweitig in den NS involviert gewesen. Die Studierenden forderten daher, alle Lehrkräfte mit NS-Vergangenheit auszutauschen. Ihr Slogan, der die Bezeichnung »Tausendjähriges Reich« ironisch aufnahm und die NS-Vergangenheit der Professoren benannte, lautete: »Unter den Talaren, der Muff von tausend ­Jahren.« Zu den Protestformen der Studierenden gehörten Demonstrationen und Besetzungen sowie Sit- und Teach-Ins – die Blockade von Hörsälen und die Organisation eigener Lehrveranstaltungen. Auch gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Protestierenden sowie der mitunter militante Protest gegen die Bildzeitung waren Teil der 68er-Bewegung.

    »Wir haben große Hoffnungen gesetzt in diesen Neuaufbruch in den späten sechziger Jahren. Eine Generation, die ihre Eltern und Lehrer fragte: ‚Was habt ihr eigentlich gemacht zwischen 1933 und 1945?‘, schien uns sehr notwendig zu sein im Land der Täter. Das war ja auch unsere Frage. In diese Zeit fiel auch der Sechstagekrieg im Juni 1967. (…) Die Studenten waren damals noch auf unserer Seite. Aber bald darauf kippte die Stimmung ins Anti-Israelische. Wir waren sehr enttäuscht, Bertl und ich.«

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  • Sozialistischer Deutscher Studentenbund (SDS)

    Der Sozialistische Deutsche Studentenbund wurde 1946 als SPD-naher StudentInnenbund in Hamburg gegründet. Ab Mitte der 50er-Jahre engagierte sich der SDS gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands und gegen die Bewaffnung der Bundeswehr mit Atomwaffen. Die SPD beschloss in dieser Zeit ihre Wandlung weg von einer sozialistisch ausgerichteten Partei, hin zu einer Volkspartei. Aus diesen Gründen kam es zu starken inhaltlichen Konflikten zwischen SPD und SDS. Diese gipfelten 1961 in einem Unvereinbarkeitsbeschluss, der alle SDS-Mitglieder und -SympathisantInnen aus der SPD ausschloss. Auf diese Weise wurden auch Irmgard Heydorn und ihr Mann, Heinz-Joachim Heydorn, aus der SPD ausgeschlossen.

    In der zweiten Hälfte der 60er-Jahre nahm der SDS eine zentrale Rolle in der Studierendenrevolte ein.

    Weitere Informationen:

    Zum Gründungskongress des SDS

  • Heinz-Joachim Heydorn

    Heinz-Joachim Heydorn wurde 1916 in Hamburg geboren und wuchs in einem bürgerlich-liberalen Elternhaus auf. Mit der Machtübernahme der Nazis trat Heydorn 1933 der Bekennenden Kirche bei und leistete illegale politische Arbeit. Nach der Schulzeit studierte er in Hamburg Philosophie, Sinologie und Englisch und trat 1938 für ein Jahr eine Stelle als Deutschlehrer in Wales an. Als sein Vater 1939 schwer erkrankte, reiste er zurück nach Deutschland und wurde bei Kriegsbeginn zum Kriegsdienst eingezogen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er auch mit dem politischen Exil in Paris zusammen gearbeitet und an in Deutschland verbotenen Zeitschriften mitgewirkt. Während seiner Zeit bei der Wehrmacht gelang es Heydorn trotz verschiedener Versuche seiner Vorgesetzten, ihn zum Offizier zu machen, einfacher Soldat zu bleiben. 1944 desertierte er an der Westfront in Frankreich und wurde von einem Kriegsgericht in Deutschland in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Diese Verurteilung gab Heydorn nach 1945 auch im Scherz an, wenn er nach seinen militärischen Auszeichnungen gefragt wurde. Die Zeit bis zur Rückeroberung Frankreichs durch die Alliierten verbrachte er versteckt und arbeitete mit der Résistance zusammen. Er ging sodann in alliierte Kriegsgefangenenschaft, aus der er 1945 wieder entlassen wurde.

    Zurück in Hamburg trat er der SPD bei und gründete 1946 gemeinsam mit Irmgard Heydorn den SDS, dessen Vorsitzender er im gleichen Jahr wurde. Irmgard Heydorn, damals noch Irmgard Hose, und er lernten sich im Umfeld des ehemaligen ISK kennen und heirateten 1951. 1961 erhielt Heinz-Joachim Heydorn einen Ruf als Professor für Erziehung an die Goethe-Universität Frankfurt. Im gleichen Jahr wurden er und Irmgard Heydorn aufgrund ihrer Mitgliedschaft im Förderverein des SDS aus der SPD ausgeschlossen. Bis zu seinem plötzlichen Tod im Dezember 1974 engagierte sich Heinz-Joachim Heydorn politisch: in der Universität und Pädagogik, für die Studierendenbewegung, gegen die Remilitarisierung Deutschlands und gegen eine Amnestie für NS-Verbrechen. Die gesammelten Werke Heydorns sind in einer neunbändigen Studienausgabe im Verlag Büchse der Pandora erschienen.

    Weitere Informationen:

    Einführung in Leben und Werk Heinz-Joachim Heydorns:

    Eine Studienausgabe der Werke Heinz-Joachim Heydorns ist im Verlag Büchse der Pandorra erschienen.

    Von Heinz-Joachim Heydorn sind zudem einige Audiovorträge online verfügbar.

    Der Nachlass Heinz-Joachim Heydorns wird von der Universität Frankfurt verwaltet und ist dort einsehbar.

Kapitel 9: Politisches Engagement

  1. Vorheriges Kapitel
  2. PE1
    Politisch sein
  3. PE2
    Sozialistin sein
  4. PE3
    Prager Frühling
  5. PE4
    Die ‘68er-Bewegung
  6. PE5
    Man hat immer die Wahl